Livestream und Teilnehmer


Bild.: @Sigurd Roeber


Der Funkspruch ist deutlich zu verstehen: "Wir arbeiten gerade an Schritt 921." Rauschen. Die Bodenstation in Houston gibt grünes Licht. Rauschen. "OK, habe verstanden", sagt Koichi Wakata in 400 Kilometer Höhe und fährt mit seiner Arbeit fort. Der japanische Astronaut kreist in der Internationalen Raumstation ISS um die Erde - und Raumfahrt-Fans auf der Erde kreisen vor ihren Computern mit.

Die Nasa überträgt nahezu ohne Unterbrechung einen Internet-Livestream aus dem All. Eine Anmeldung ist nicht notwendig. Raumfahrt-Begeisterte können den Astronauten beim Arbeiten zugucken und zuhören.

Wenige Klicks und schon geht es im Sturzflug aus dem Weltraum ins eisige Polarmeer. Zumindest akustisch. Singende Wale und kalbende Eisberge kommen live und direkt übers Internet ins Wohnzimmer. Auch die weltweite Erdbebensituation und aktuelle Daten des Forschungsschiffs Polarstern sind nur wenige Klicks entfernt.

Trend zur Teilhabe

Zahlreiche Forschungseinrichtungen teilen im Netz Daten, bewegte Bilder oder Geräusche mit. "Jeder versucht, nette Instrumente zu basteln", sagt Markus Weißkopf. Er ist Geschäftsführer von "Wissenschaft im Dialog", einer gemeinsamen Denkfabrik großer deutscher Forschungseinrichtungen. Es liege im Trend, interessierte Bürger live an Forschung teilhaben lassen.

Schließlich habe die Wissenschaft den Auftrag, Laien ihre Arbeit zu erklären. Denn die seien als Steuerzahler in letzter Konsequenz auch die Geldgeber. "Wir wünschen uns natürlich auch, dass der Bürger ein Verständnis entwickelt, was wir in der Wissenschaft tun", sagt Weißkopf. Oft stecke hinter Angeboten aber auch ein enthusiastischer Forscher, der für sein Thema brenne.

Mit Angeboten zum direkten Miterleben würden Laien oft besser erreicht als mit Fachartikeln. "Wenn ich selber irgendwo klicken kann, bin ich selber aktiv", sagt Weißkopf. Es sei oft viel spannender zu sehen, wie Wissenschaft passiert, als darüber zu lesen. Beispielsweise lässt sich das Deutsche Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam in seine Eruptionskarten schauen.

Eine Weltkarte zeigt schwere Erdbeben der vergangenen 14 Tage. Nahe Indonesien und Japan sind besonders viele Erdstöße verzeichnet. Wo es kürzlich gebebt hat, blinkt ein roter Punkt. Neben einer Karte liefert das GFZ außerdem eine Art Bebenticker - mit Ort, Uhrzeit und Stärke. An den meisten Tagen ist die Zahl der registrierten Erdstöße zweistellig.

Längster Laborversuch der Welt

Während andernorts die Erde bebt, geht es beim Pechtropfen-Experiment an der Universität Queensland im australischen Brisbane sehr beschaulich zu. Im Jahr 1930 wollte Thomas Parnell mehr über die physikalischen Eigenschaften von Teer herausfinden. Er füllte die schwarze Masse in einen nach unten offenen Trichter. So wollte er beobachten, wie zäh Teer tatsächlich ist.

Das Ergebnis: Teer ist sehr zäh. Seit 83 Jahren läuft das Pechtropfen-Experiment schon und meistens passiert: nichts. Achtmal hat der Pechtrichter bislang getropft. Das Guinness-Buch der Rekorde listet das Experiment als längsten Laborversuch der Welt. Doch niemand hat bislang den Teer tropfen gesehen.

Beim nächsten Tropfen soll das nicht passieren: Das Experiment wird live per Webcam ins Netz übertragen. Jeder Internetnutzer kann dem Teer zuschauen und auf den großen Zufall hoffen. Immerhin steht der neunte Tropfen nach Angaben der australischen Wissenschaftler kurz bevor. Nervenkitzel pur.

Oft sei Forschung nicht wegen der Ergebnisse pulstreibend, sagt Kommunikationsprofi Weißkopf. "Eigentlich ist die Suche nach was Neuem das Spannende." Indem Bürger daran teilhaben, könne ihnen die Faszination möglicherweise leichter vermittelt werden, als wenn lediglich die Lösung berichtet werde. Grundsätzlich reiße technische oder naturwissenschaftliche Forschung im Netz einfacher Menschen mit als beispielsweise sprachwissenschaftliche Untersuchungen.

Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) plädiert für mehr Teilhabe. "Wissenschaft und Forschung können nur erfolgreich sein, wenn die Menschen frühzeitig einbezogen werden", sagt ein Ministeriumssprecher in Berlin.

Akkustische Reise ins ewige Eis

Gemütlich zuhause sitzend lauscht der interessierte Bürger beispielsweise ins eisige Südpolarmeer. Die "Palaoa"-Station sendet live die Geräuschkulisse unter der Eisschicht der Antarktis. Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven haben Unterwassermikrofone unter das Eis gehängt und horchen in den Ozean. Sie wollen wissen, wie groß die Rolle der Akustik unter Wasser ist. Mittlerweile können sie einige Robbendialekte unterscheiden.

Das ist für den Laien gar nicht so einfach: Weddellrobben zwitschern und pfeifen, von den Seeleoparden wurden bislang zwölf verschiedene Laute registriert. Vorbeiziehende Blauwale klingen eher wie ein tieffrequentes Sonar. Damit der Hobbyforscher von zu Hause aus die verschiedenen Tiere unterscheiden kann, bieten die Forscher des AWI Hörbeispiele zu den Tieren der antarktischen Gewässer an.

Im Livestream ist nicht nur ab und an ein vorbeischwimmender Wal zu hören. Unter Wasser ist es fast durchgehend richtig laut. Neben singenden Buckelwalen und zischenden Rossrobben ist abbrechendes Schelfeis zu hören. Eisschollen reiben aneinander. Zweimal im Jahr kommt das Forschungsschiff Polarstern vorbei und hinterlässt akustische Spuren. Das Schiff lässt sich im Netz orten. Einige Töne sind geheimnisvoll: Selbst die AWI-Forscher können sie nicht zuordnen.

Mückensammler und Hobbyneurologen

Einige Wissenschaftler und Institutionen lassen sich nicht nur über die Schulter schauen. Interessierte Laien dürfen bei ihrer Forschung mitmachen, beispielsweise als Mückensammler. Bürger sollen heimische Mücken an das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung schicken und so beim Aufbau eines deutschen Mückenatlas helfen.

Die Idee, Laien an wissenschaftlicher Forschung zu beteiligen, stammt aus den USA. Die sogenannte Citizen Science ist in Deutschland noch relativ jung. "Indem die Bürger einen aktiven Anteil an Forschungsprojekten haben, werden sie näher an die Welt der Wissenschaft herangeführt", sagt ein Sprecher des BMBF. In aller Regel bekämen die Bürger von den Wissenschaftlern eine Rückmeldung auf ihre Beteiligung.

Sogar in den Neurowissenschaften können Laien ohne großen Aufwand mitforschen. Eine US-amerikanische Arbeitsgruppe am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge lässt Menschen im Internet Verbindungen von Neuronen finden. Das Projekt heißt "Eyewire" und ist für jedermann zugänglich. Die Wissenschaftler hoffen, mit Hilfe der Internetnutzer die neuronalen Verbindungen in der Netzhaut besser verstehen zu lernen.

Markus Weißkopf glaubt fest an den Nutzen solcher Projekte. "Kein Forscher würde Zeit opfern, um einen Werbegag zu produzieren. Dafür haben sie viel zu wenig Zeit." Der Druck sei viel zu groß, um Aktionen ohne wissenschaftlichen Nutzen anzustoßen. Auch wenn Citizen Science hierzulande oft noch in den Kinderschuhen stecke.

Auf der ISS macht der Astronaut Koichi Wakata derweil Feierabend. Die Raumstation sendet jetzt den Livestream einer Außenkamera. Die Bilder erinnern an die Anfangssequenz eines Weltraum-Spielfilms. Es sieht aus, als würde der blaue Planet langsam unter der Raumstation vorüberziehen. In Wahrheit rast die ISS mit rund 27 000 Kilometer pro Stunde um die Erde.

Wo die Station gerade unterwegs ist, verraten Webseiten, die die Position der ISS auf einer Google-Maps-Karte darstellen. Alle 45 Minuten überquert die ISS eine Nacht-Tag-Grenze: Die Sonne geht auf. Für den Zuschauer auf der Erde ist das ein Highlight. Astronaut Wanaka kann darüber nach mehreren Wochen im All wohl nur noch müde lächeln.

ail/dpa



Sigurd A.Röber

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