Keine Vorbildrolle mehr in der Energiewende

Wissenschaftler bestätigen, Deutschland nicht führend.

Bild +Sigurd Röber

Die Forscher wollten wissen: Ist Deutschland wirklich führend, wenn es um die Neuaufstellung des Energiesektors geht? "Neue Impulse für die Energiewende - Was die deutsche Energiepolitik aus dem internationalen Vergleich lernen kann", so liest sich der vielsagende Titel ihrer Studie. Das wurde vom globalen Technologiekonzern General Electric (GE) beauftragt, Deutschlands Vorbildcharakter bei der Umstellung von Kohle, Gas und Atomenergie auf erneuerbare Energien unter die Lupe zu nehmen.

Mit 51 Indikatoren zu Energie, Haushalten, Unternehmen und Verkehr wurde untersucht, welche Fortschritte 24 Länder auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Energiegewinnung und Nutzung im Vergleich machen. Betrachtet wurde dabei die Veränderung der Jahre 2007 bis 2012 - allerdings wurde die "deutsche Energiewende", wie wir sie heute kennen, erst 2011 auf den Weg gebracht, also erst am Ende des Untersuchungszeitraums.

Deutschland erzielt nur Platz 24 im Ländervergleich

Ein zentrales Ergebnis: Deutschland landet nur auf Platz 24 im Ranking der Nationen. "Das Land, das als Vorbild für eine Energiewende betrachtet wird, hat hinsichtlich seiner Fortschritte bei diesem nicht manipulierten Indikatorenset eine erstaunlich schlechte Position", sagt Studienleiter Bert Rürup, der früher die Bundesregierung als "Wirtschaftsweiser" in Finanzfragen beraten hat.

So hinke Deutschland beim Thema Energie-Effizienz hinterher, ebenso wie vergleichsweise wenige Güter hierzulande über den klimafreundlichen Schienenverkehr transportiert würden. Statt weniger habe Deutschland zuletzt trotz eines Anteils von über 25 Prozent von Ökostrom am Strommix immer mehr Kohlendioxid ausgestoßen, weil Kohlekraftwerke so stark ausgelastet arbeiten wie selten zuvor. Und besonders im Bereich der Wirtschaftlichkeit der Energiewende sei das Land inzwischen ins Hintertreffen geraten, findet der Vorstandsvorsitzende von GE Energy Deutschland, Stephan Reimelt. Die Energiewende, so Reimelt, produziere "überdurchschnittliche Kosten mit unterdurchschnittlichem Ergebnis."

Die vorderen Ränge in diesem Ranking belegen dagegen die Länder Skandinaviens, aber auch Österreich oder die Schweiz. Dabei glänzt beispielsweise Norwegen beim Thema Energieeffizienz durch die verbindliche Einführung des energiesparenden Passivhaus-Standards, ebenso wie Dänemark die dynamischsten Fortschritte auf dem Weg zu einer nationalen Energiewende attestiert werden. Dänemark habe im Ländervergleich den höchsten Anteil von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), wodurch bei der Stromerzeugung entstehende Wärme als Heizenergie weiterverwendet werden kann.

In Deutschland sinke der Anteil dieser KWK-Anlagen dagegen in den vergangenen Jahren, kritisiert GE-Manager Reimelt. Im gleichen Atemzug kündigt er werbewirksam ein Pilotprojekt zur Kraft-Wärme-Kopplung seiner Firma an, das in Berlin als Demonstrationsanlage dienen soll. "Im Augenblick scheint es so, dass die Energiewende zu einem Trassenausbau und zu einer Kostendiskussion verkommt, anstatt zu einer innovativen Wende, deren Technologien begehrt sind."

Deutsche Energiewende durch europäische Energiestrategie ersetzen

Zudem werde die deutsche Energiewende bislang unwirtschaftlich durchgeführt, sagt Bert Rürup. Denn Ökostromkraftwerke wie Windräder und Solaranlagen seien hierzulande wegen klimatischer und geografischer Bedingungen schlecht ausgelastet. Dieselben Anlagen könnten dagegen an anderen europäischen Standorten deutlich mehr Ertrag bringen.

Für die Autoren liegt daher der Schluss nahe, dass die Energiewende europäisiert werden muss. "Der aktuelle Konflikt mit Russland könnte als Katalysator dienen, dass eine europäische Energiestrategie auf die Agenda kommt", so Bert Rürup, der die Leitung des Handelsblatt Research-Instituts übernommen hat. Mit einer solchen gesamteuropäischen Energiewende gelte es, das am Boden liegende EU-Emissionshandelssystem wieder zu reparieren. Aktuell sind Zertifikate mit CO2-Verschmutzungsrechten dort für Industrieunternehmen so günstig zu erwerben, dass von diesem Klimaschutzinstrument kein Impuls mehr für Investitionen in klimafreundliche Technologien ausgeht.

Die Studie bleibt bei der Beschreibung von Unterschieden stehen, und hofft, durch den internationalen Vergleich die nationale Debatte zu verändern. Sie ist damit eine von vielen neuen Studien, die sich des "Modethemas" Energiewende annehmen und um mediale Aufmerksamkeit buhlen.

Zeitgleich zur Vorstellung der Handelsblatt-Studie kündigte der Verband der Elektrotechnik (VDE) an, in Kürze eine weitere Energiewende-Analyse vorzulegen. Statt einer medialen Schelte für die vermeintlich schlecht gemachte deutsche Energiewende erwartet die Leser hier das genaue Gegenteil, das verrät zumindest der Titel: "Deutschland mit Energiewende auf Erfolgskurs". Bleibt aufmerksamen Beobachter also nur ein Ratschlag: Nicht nur die Energiewende muss einem internationalen Vergleich standhalten, sondern auch die Studien über die Energiewende selbst.

Autor: Richard Fuchs, Berlin

Redaktion: Sabine Kinkartz

Sigurd A.Röber

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