Atomenergie auf dem aktuellen Prüfstand
Atomunfall aufgepasst, ich komme...
Bild.: +Sigurd Roeber
Die Gefahr eines großen Atomunfalls wächst in Europa. Derzeit sind in der EU, der Schweiz und der Ukraine 151 Atomkraftwerke in Betrieb - davon sind 66 Reaktoren älter als 30 Jahre und 25 Reaktoren sogar über 35 Jahre. "Wenn man sich anschaut, dass die Reaktoren meistens für eine Laufzeit von nur 30 Jahren ausgelegt sind, haben sie ihre Lebensdauer einfach schon überschritten", warnt Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedel.
Laut der 146 Seiten umfassenden Studie, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat, wächst die Gefahr aus mehreren Gründen: In vielen Ländern sollen die Atomkraftwerke zukünftig wesentlich länger betrieben werden als ursprünglich geplant, und zudem mehr Strom erzeugen. Die Leistungserhöhung belaste die Kraftwerke jedoch zusätzlich und zusammen mit der Alterung wächst die potenzielle Bedrohung für die Sicherheit.
Altanlagen sind besonders riskant
Die Probleme der Altanlagen entstehen nach Angaben der Experten zum einen durch physische Alterung der Komponenten, Systeme und Bauwerke, zum anderen aufgrund des veralteten technischen und konzeptionellen Aufbaus. So wurden früher geringere Anforderungen an die Sicherheit gestellt als dies heute der Fall wäre. Alte Kernkraftwerke sind so oft schlechter gegen Hochwasser, Erdbeben oder Flugzeugabsturz gerüstet, erklärt Nuklearexpertin Simone Mohr vom Öko-Institut in Darmstadt und Mitautorin der Studie. "Alle genannten Aspekte führen zu einer fortschreitenden Absenkung des Sicherheitsniveaus der älteren Reaktoren in Europa".
Nach Einschätzung von Mycle Schneider, Herausgeber des jährlich erscheinenden "World Nuclear Industry Status Report", kommt noch ein weiteres Risiko hinzu. Schneider bezeichnet es als Kompetenzlücke: Denn EDF als größter Atomkraftwerksbetreiber der Welt wird "innerhalb von fünf Jahren etwa die Hälfte des Betriebspersonal ersetzen müssen", dadurch ginge wichtiges Fachwissen in den Kraftwerken verloren, besonders in Krisenfällen wäre auch dies ein Problem, sagt Schneider.
Betreiber sollen für Risiken selber haften
Nach Ansicht von Greenpeace reagieren weder die Betreiber noch Politik und Atomaufsicht auf die wachsenden Gefahren. Problematisch dabei ist auch, dass Atomkraftwerksbetreiber für nukleare Unfälle nur sehr begrenzt haften. Die Experten der Studie fordern, dass die Kraftwerksbetreiber und Zulieferer das komplette Haftungsrisiko übernehmen und nicht mehr Staat und Steuerzahler das Risiko eines Unfalles tragen. Zum einen würden so die künstlichen Wettbewerbsvorteile der Atomkraft abgebaut, zum anderen würden für die Betreiber wirtschaftliche Anreize geschaffen, das Risiko eines Atomunfalls zu senken. Eine höhere Haftpflicht "käme nicht nur den Opfern eines Unfalls zugute, sondern hätte eine wichtige Präventivwirkung", schreiben die Experten.
Um die Sicherheitsrisiken bestmöglich zu minimieren, schlagen die Autoren der Studie ein kollektives Haftungssystem der Kraftwerksbetreiber vor. "Die Zusammenlegung der unbeschränkten Haftung für ganz Europa würde die Betreiber motivieren sich gegenseitig zu kontrollieren."
Aufforderung an die Politik
Angesichts des zunehmenden Risikos zeigt sich Greenpeace besorgt und fordert dringend Maßnahmen. Neben dem schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien, zählt die sofortige Abschaltung von Atomreaktoren - die älter als deren ursprüngliche Auslegungsdauer sind - dazu. Darüber hinaus fordert Greenpeace die "volle Transparenz und Beteiligung der Öffentlichkeit an den Entscheidungsprozessen".
Zeitgleich zur Greenpeacestudie veröffentlichte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) eine Studie zu einem ähnlichen Aspekt. Nach Berechnungen der technischen Universität Wien und der Stiftung Umweltenergierecht Würzburg kann Europa bis 2030 komplett aus der Atomkraft aussteigen und dies auch mit den ambitionierten Klimazielen vereinbaren.
Autor: Gero Rueter
Redaktion: Hannah Fuchs
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