Export und Wirtschaft
Bild +sigurd Röber
Was ist das Erfolgsgeheimnis der deutschen Wirtschaft? Zum einen sicherlich der technologische Vorsprung. Immer eine Nase voraus, so lautet die Maxime. Auch der Blick über den inländischen Tellerrand macht viel aus. Nicht nur Großkonzerne, sondern auch die vielen kleinen und mittleren Unternehmen suchen ihr Glück auf Auslandsmärkten.
Nach Ansicht von Stefan Kapferer, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, ist es für den Erfolg der deutschen Wirtschaft entscheidend, dass nicht nur die Großkonzerne aktiv auf Exportmärkten sind, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen. Um die Suche nach vielversprechenden Zielen zu unterstützen, nimmt das Bundeswirtschaftsministerium jedes Jahr gemeinsam mit der Germany Trade & Invest GmbH (GTAI) interessante neue Exportmärkte ins Visier und empfiehlt sie.
Wo lohnt sich ein Investment?
Infrage kommen Länder, die fünf Kriterien erfüllen: Sie müssen überdurchschnittliche Wachstumsraten aufweisen und eine positive Entwicklung in den acht für den deutschen Mittelstand relevanten Kernbranchen haben, wozu allem voran der Maschinenbau und die Medizintechnik, aber auch die Umwelttechnik gehört. Das Importvolumen des Landes muss zehn Milliarden US-Dollar übersteigen, die deutschen Exporte müssen über einer Milliarde Euro liegen. Dazu muss das Land ein stabiles Geschäftsumfeld gemäß dem "Doing Business Report" der Weltbank bieten.
Waren im vergangenen Jahr Thailand, Ghana, die baltischen Staaten, Chile, Kanada und Polen die sechs Top-Exportmärkte, so stehen 2014 China, Ghana, Indonesien, Kolumbien, Südkorea und Großbritannien ganz oben auf der Liste. Staatssekretär Kapferer spricht von einer "interessanten Mischung" zwischen traditionellen Exportmärkten und bisher so nicht im Fokus stehenden Ländern wie Kolumbien.
Sechs Länder mit viel Potenzial
Das größte Volumen bietet sicherlich China. Zuletzt lieferten deutsche Unternehmen Waren im Wert von 70 Milliarden Euro ins Reich der Mitte. China ist der fünftwichtigste Exportmarkt geworden.
Die Bundesregierung sieht aber durchaus noch viel Potenzial angesichts eines erwarteten Wachstums von 7,5 Prozent. "Für die forcierte Modernisierung der chinesischen Industrie bleiben hochwertige Maschinen und Anlagen "Made in Germany" auch künftig stark gefragt", sagt GTAI-Geschäftsführer Benno Bunse. Chinas Industrie solle nicht nur moderner, sondern auch grüner werden, dafür seien riesige Investitionen beabsichtigt. "Neben Absatzchancen im Umweltbereich bieten auch die Medizintechnik, hochwertige Verbrauchsgüter oder der Gebäudebau zahlreiche vielversprechende Geschäftschancen für den deutschen Mittelstand", so Bunse.
Viel Potenzial verspricht 2014 auch Großbritannien, da das Land das größte Konjunktur-Plus innerhalb der EU einfahren soll. Der private Konsum nehme zu, der Wohnungsbau werde forciert und es gebe Ansätze für eine Reindustrialisierung Großbritanniens.
In Südkorea, das für deutsche Unternehmen bereits der drittgrößte Absatzmarkt in Asien ist, sehen die Analysten von Germany Trade & Invest dank des seit 2011 angewendeten Freihandelsabkommen mit der EU gute Marktchancen für Kraftfahrzeuge, Maschinen und Anlagen, Energie- und Umwelttechnik, Gesundheitsprodukte sowie Nahrungs- und Genussmittel.
Chancen in Afrika und Asien
Ghana ist das einzige Land, das es sowohl 2013 als auch 2014 auf die Liste der Top-Exportmärkte geschafft hat. Das westafrikanische Land ist im internationalen Vergleich ein noch sehr kleiner Markt. Aufgrund seines über Jahre stabil hohen Wirtschaftswachstums bleibe das Land aber eine afrikanische Erfolgsgeschichte, meint Bunse, der in Ghana "ein enormes Entwicklungspotenzial" sieht.
"Das jüngste Erdölland des afrikanischen Kontinents übernimmt zunehmend eine Brückenfunktion bei der Annäherung an die Region Westafrika, vor allem an das wirtschaftliche Schwergewicht Nigeria." Westafrika wächst stark und wird 2050 nach Prognosen der UN mehr Einwohner haben als ganz Europa. Für die Region Subsahara-Afrika prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) weiterhin reale Zuwachsraten beim Bruttoinlandsprodukt von über sechs Prozent. Bei einem hohen Importbedarf verspreche das auch für deutsche Unternehmen vielfältige Geschäfte.
Für Indonesien spricht, dass es mit 250 Millionen Konsumenten nicht nur die größte südostasiatische Volkswirtschaft ist, sondern auch ein zunehmend interessanter Standort zur Erschließung der ASEAN-Region, in der 2015 die Zollschranken fallen. Die deutschen Exporte liegen derzeit erst bei rund drei Milliarden Euro. Da gebe es noch reichlich Luft nach oben, heißt es in der Analyse der GTAI.
Kolumbien im Fokus
Für viele überraschend hat es in diesem Jahr Kolumbien auf die Liste der vielversprechenden Exportmärkte geschafft. In dem Andenstaat herrsche derzeit Aufbruchsstimmung, sagt Benno Bunse.
Das Land gehöre nach Ansicht von Wirtschaftsexperten weltweit zu den Märkten mit dem größten Entwicklungspotential. "Die sich seit Jahren stetig verbessernde Sicherheitslage, stabile Wachstumsraten beim BIP von über vier Prozent, eine kaufkräftige Mittelschicht, der Rohstoffreichtum sowie ein großer Nachholbedarf im Infrastrukturbereich, der durch verschiedene Großprojekte behoben werden soll, bieten langfristige Perspektiven."
Gute Geschäftschancen sehen die Analysten in den Sparten Baumaschinen, Öl- und Bergbauausrüstungen, bei Automobilen, Medizintechnik, Elektrotechnik und Umwelttechnologien. Kolumbien sei zudem ein guter Ausgangspunkt für den weiteren Einstieg in Lateinamerika, so Bunse.
Was wird aus Russland?
Was Kolumbien geschafft hat, bleibt Russland derzeit verwehrt. Für Russlands Wirtschaft seien die Aussichten in diesem Jahr verhalten, heißt es in einer GTAI-Analyse. Der Krim-Konflikt verschlinge Milliarden Rubel, Gelder, die ursprünglich für Investitions- und Modernisierungsprogramme gedacht gewesen seien. Kritisiert wird zudem, dass Russland die Bildung der Eurasischen Union forciert und trotz WTO-Beitritt seine Grenzen im Handelsverkehr zunehmend dicht macht. Die Regierung setze auf Produkte "Made in Russia", um die heimische Industrie zu fördern und Arbeitsplätze zu erhalten.
Noch schwieriger könnte die Situation werden, sollte die EU tatsächlich Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen. Noch sind die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland intakt, darauf verweist Staatssekretär Kapferer mit großem Nachdruck. Probleme von Firmen mit russischen Geschäftspartnern infolge der Krim-Krise seien im Ministerium nicht bekannt. "Es gibt im wirtschaftlichen Bereich keine Sanktionsbeschlüsse, daher streben wir mit Russland wie bisher eine wirtschaftliche Zusammenarbeit an."
Wie bisher stünden für Geschäfte mit Russland Hermes-Bürgschaften zur Verfügung. Dabei handelt es sich um staatliche Versicherungen für Exporte der Wirtschaft in politisch oder wirtschaftlich unsichere Länder. Zahlt der ausländische Abnehmer nicht, springt der Staat ein. Jährlich stellt der Bund dafür Garantien von etwa 29 Milliarden Euro zur Verfügung.
Banger Blick nach vorne
Anträge auf Hermes-Bürgschaften würden selbstverständlich auf ihre Risikosituation überprüft, wozu auch die politische Situation gehöre, so Kapferer. "Aber der Rahmen ist unverändert gültig und die Unternehmen müssen selbst entscheiden, ob sie dort investieren oder anderweitig Geschäfte machen wollen."
Deutlich negativer wird die Situation beim Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) beurteilt. "Der Spiegel der Nervosität nimmt von Tag zu Tag zu", sagt BGA-Präsident Anton Börner über die rund 6200 Unternehmen, die in Russland aktiv sind. Vor allem Firmen, die ihre Geschäfte größtenteils auf Russland ausgerichtet hätten, wollten dringend wissen, wie wahrscheinlich es sei, dass Wirtschaftssanktionen verhängt würden. "Eine Eskalationsspirale wäre für manche Unternehmen existenzbedrohend", warnt Börner.
Wie konkret die Folgen von Wirtschaftssanktionen aussehen würden, ob die Bundesregierung Unternehmen Geschäfte mit Russland verbieten könnte, oder ob dann lediglich keine Bürgschaften mehr übernommen würden, auf diese Fragen bekommt man beim BGA und auch im Bundeswirtschaftsministerium derzeit keine klare Antwort. "Wirtschaftssanktionen sind bisher ganz bewusst nicht verhängt worden und es liegt auch nicht im Interesse der Bundesregierung, dass wir dahin kommen", sagt Staatssekretär Kapferer.
Autor: Sabine Kinkartz
Redaktion: Andreas Becker
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