Marktforschung in Deutschland


Bild.: Sigurd Roeber

Beitrag.: Deutsche Welle

Marktwirtschaft in Deutschland.

Wer in Bettina Fincos Einkaufskorb schaut, sieht vor allem Obst und Gemüse. "Somit sind wir keine durchschnittlich deutsche Familie", sie lacht, "vielleicht, weil mein Mann Italiener ist. Durchschnittlich! Wer sagt denn sowas?" Ihr kleines Haus in der deutschen Kleinstadt Haßloch bewohnt die 51-Jährige mit ihrem 50-jährigen Gatten, der aus Sardinien stammt.

Typisch deutsch

Nein, nicht durchschnittlich - eher: repräsentative deutsche Konsumenten. Bettina Finco ist Hausfrau, arbeitet gelegentlich in einem italienischen Restaurant im Service. Sie hat zwei mittelkleine Kinder, ein mittelgroßer Familienhund döst zufrieden in einem Weidenkorb unter der Treppe. Peinlich sauber ist die Küche. Im hellen Wohnzimmer stehen dicke Kerzen im Kamin. Darüber: Bücherregale einer schwedischen Möbelkette. Daneben: ein Fernseher. Und wenn der an ist, sehen die Fincos manchmal ein anderes Programm als der Rest der Republik.

Manipulierte TV-Werbung

Mitte der Achtziger entdeckte die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) aus Nürnberg den kleinen Ort als idealen Testmarkt: Die Sozialstruktur und das Haushaltseinkommen entsprachen genau dem Bundesdurchschnitt, zum Einkaufen verlassen die wenigsten Haßlocher den Ort, und das Fernsehen konnte technisch leicht mit Werbesports für Waren bespielt werden, die es so im restlichen Deutschland noch gar nicht gibt.

Bettina Bartholomeyzik von der GfK sitzt nur wenige Straßen von den Fincos entfernt in einem TV-Studio in einem unscheinbaren Reihenhaus. Vor ihr flimmert das Nachmittagsprogramm über eine Wand mit mehreren Fernsehern. "Hersteller haben hier die Möglichkeit, neue Produkte und die Wirksamkeit verschiedener Werbemaßnahmen zu testen", erklärt sie.

Achtzig Prozent aller Produkte, die jedes Jahr auf dem deutschen Markt eingeführt werden, verschwinden wieder. Wer aber den Vorab-Test in Haßloch besteht - "der schafft es auch in Deutschland", sagt sie. Keine Meinung, sondern reine Statistik. Werbespots können hier geschaltet und mit einer Kontrollgruppe überprüft werden. Wer möchte, kann auch Plakate kleben lassen und Verkostungen im Supermarkt durchführen. Die Einkäufe der Haßlocher werden dann über den Scanner gezogen, ihre GfK-Karte registriert - und zum Dank fürs Mitmachen gibt es einen Teil der Kabelgebühren rückerstattet, ab und an auch ein kleines Preisausschreiben.

Test-Shopping in Haßloch

In der Fußgängerzone sieht es aus wie überall: Neben "Brillen Schmidt" liegt "Firats Feinkost", an der Ecke ein Bistro namens "Cheers", und Plakate kündigen eine "Ü-30-Deluxe-Party" an. In die umliegenden Städte - nach Mannheim oder Ludwigshafen - fahren die Haßlocher selten, sie sind "stolz drauf, dass wir ein Groß-Dorf sind", meint ein Passant und lobt die Sportvereine der Region.

Auch beim örtlichen Metzger geht es bodenständig zu: Schnitzel, Leberwurst oder sogar Saumagen wird verlangt, das Lieblingsessen eines früheren deutschen Kanzlers.

Im Supermarkt dagegen dröhnt ein Werbespot für Kindernahrung der Mega-Marke Procter&Gamble aus den Lautsprechern. Dem Zugereisten kommen Pralinen aus dunkler Schokolade fremd vor, die mit ihrer edlen, weißen Packung, dem Schriftzug "Diva" und einer schwarzen Schleife wohl Frauen ansprechen sollen.

Neu, nicht-neu oder Retro-Trend?

Für Herren gibt es mehrere Sorten Duschgel mit dem Playboy-Bunny - aber ob die wirklich neu sind? Neben Procter&Gamble sollen auch Wrigleys und Ferrero in Haßloch ihre Waren testen, kann man in der deutschen Presse lesen. Verraten darf das aber offiziell niemand. Danach fragen geht auch nicht.

Manchmal geht der Trend aber anscheinend auch rückwärts: Wer in den Achtzigern Kind war, freut sich über einen in Gold gewickelten Karamellriegel mit dem roten Schriftzug "Raider" - und erinnert sich an eine bunte, knallige Werbung, mit der einst ein neuer Name eingeführt wurde: "Raider heißt jetzt Twix - sonst ändert sich nix". Ob hier etwa eine Rückkehr zum alten Markennamen geplant ist?

Bettina Finco interessiert das nicht. "Wir wissen nicht, welche Produkte getestet werden. Wir gehen 'ganz normal' einkaufen, es soll ja ein ganz realistisches Kaufverhalten an den Tag gelegt werden."

Wenn aber demnächst in deutschen Supermarktregalen eine Pralinenschachtel namens "Diva" zu finden sein wird - dann vielleicht deshalb, weil Bettina Finco und andere Haßlocher zugegriffen haben.

Autor: Johanna Schmeller

Redaktion: Henrik Böhme


Sigurd A.Röber

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